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Über joya

...unser jüngster Zuwachs ist endlich wieder in München. Zeit wurde es! Nach einem längeren Ausflug in die Allgäuer Gefilden, ist unser Paradiesvogel mit der feinsinnigen Schreibfeder endlich bei MMA gelandet. In ihrer Stadtkolumne wird sie sicher vielen aus der Seele schreiben. Wir freuen uns extremst darüber.

Die hohe Kunst des Auswanderns wenn es Zuhause nicht mehr passt

Wütend haue ich mit der flachen Hand auf den Ausknopf meines Radios und mein Auto tut einen entrüsteten Hopser angesichts dieser unerwarteten Dusche meiner Aggression.

Jetzt weiß ich wieder warum ich kein Radio höre. Die Musik ist eine Vergewaltigung an meinen Ohren und die Moderatoren die Créme de la Créme das Comedy-Abschaumes.

Haha. Sehr lustig denke ich mir ca. bei jedem zweiten Satz. Wertvolle Lebenszeit die ich so nie wieder bekommen werde. Absolute Energieverschwendung euch auch nur zuzuhören.

Und das Thema diesmal? Die durchaus angenehm klingende Stimme der Dame die fröhlich zwitschernd aus meinen Boxen schwallt informiert mich über eine neue Aktion im Worldwideweb. Vielmehr auf Instagram. Oder war es Twitter?

#wasmichandeutschlandstört

Instant fallen mir tausend negativ geladene Gründe ein, die mein Hirn zu diesem Hashtag ausspuckt.

Aber weniger sind es Gründe aufzuzählen, die dieser Hashtag mich aufzuzählen sucht, sondern eher die Tatsache dass es echt jemand für nötig hält diesen überhaupt ins Leben zu rufen.

Aber klar- die Deutschen sind Könige wenn es darum geht auf äußerst hohem Niveau zu jammern. Ich fass es einfach nicht, als ich mir die Beispiele der sogenannten User und Follower reinziehe.

Geht’s noch? Woanders hungern die Kinder, Zehnköpfige Familien schlafen in einem Zimmer und können sich dabei noch glücklich schätzen, weil sie überhaupt ein Dach über dem Kopf haben. Und hier?

#Dosenpfand #DasProgrammaufRTL2  #KanzlerinMerkel #GEMA #hohesteuern…  Achdujemine. Ich gebe mir die Litanei noch ganze zwei Minuten bevor ich beschließe genug an meinem schlechten Karma gearbeitet zu haben. Die Strafe ist vorbei, ich nutze eine Ampel um mein Handy anzustecken und endlich wieder was für meinen Seelenfrieden zu tun. Ahhhh. Geliebter Nico Stai. Sing meine schlechte Laune weg.

Trotz aller Bemühungen des spanischen Ohrenschmeichlers. Diese Hashtagdiarrhö bleibt in meinem Geist haften wie Superglue.

Es ist ein Jahr her, da habe ich mich selbst kaum von der ewig meckerigen Allgemeinheit des deutschen Volkes kaum abgehoben. Und es war schlimmer. Denn ich wohnte damals, wie heute wieder, in München. Mehr Dekadenz an leckmirdieschuhe findest du wirklich kaum.

Mein Gehalt war mir nicht mehr genug. Dreißig Urlaubstage fand ich eine Frechheit. Meine Wohnung zu klein. Das Wetter zu schlecht. Nicht hip genug. Alle Männer nur scheisse. Alles scheiße. Entschuldigt die Wortwahl. Aber schon klar, in Nachbars Garten ist das Gras immer grüner.

Ich stand morgens auf und hätte schon im Kreis und oder Herzchen, wenn’s sein hätte müssen dann auch Einhörner kotzen können. Alles war mies. Deutschland auf Platz zwei und München auf der eins.

Eines Morgens beschloss ich, mich aus dem Jammertal zu erheben wie Phönix aus der Asche. Hier würde es aufhören. Und neu starten. Alles auf Null. Weißes Blatt-jetzt.

Also gab ich meine Wohnung auf, verkaufte all mein  Mobiliar, stellte mein Auto bei meiner Ma mehr oder weniger in den Vorgarten, kündigte meinen Job in einer elitären Firma. Wieso auch bleiben, wenn sogar der Hund ins Handgepäck passt?

Mit wehenden Fahnen strahlte ich ins Meldeamt und grinste die Frau auf der anderen Seite des Tisches  an, säuselte mit leiser Genugtuung meinen neuen Wohnort als Antwort auf ihre Frage was denn der Ort meines Wegzugs sei: Amsterdam. Eat this.

Malle

Yey. Oh du Leben. Liberalität. Qualität. Ich komme. Tschüss hässliche Ex-Beziehung, nervige Arbeit, kleine Bumsbude.

Ich war sowas von bereit für mein neues Leben jenseits des nervigen Weißwurstäquators. Raus aus Deutschland. Ich kehre euch den Rücken.

Voller Euphorie meldete ich mich an und trat meinen neuen Job an. Ich hechtete von einem Festival zum nächsten und genoss das ausnahmslos megagute Wetter in meiner neuen Heimat.

Ich tat alles was man zuhause eben nicht hatte tun können. Ohne Helm auf der Vespa fahren, die entgegen der Vorschriften nicht auf 25 gedrosselt war. Ich kaufte mir fünf Sorten Gras und bewahrte sie alle mitten in meinem Wohnzimmer auf. Ich trank Alkohol in der Arbeit und tarnte es als Borrel. Ich ließ meine Hunde in den Park scheissen ohne es weg zu räumen. Ich aß viel zu viel frittiertes und fuhr mit wildfremden Menschen auf einem Bötchen über die Amsterdamer Grachten, obwohl ich sie gerade erst fünf Minuten kannte.

Warum? Einfach weil all das hier ging. Ich hatte das perfekte Leben. Ich genoss europäischen Standard und dabei jede Freiheit die ethisch nur möglich war.

Wenn ich also Samstags meine Sparhunde einpackte und an den Strand fuhr wusste ich- ich hatte alles richtig gemacht. Raus aus den Fesseln und rein in die Niederländische Lebensfrohe Einstellung. Alles wird gut und jammern hat keinen Sinn, man kann es eh nicht ändern. Vielleicht besser machen.

Mit jedem Mal an dem mich die Lufthansa ins beschauliche München verfrachtete wusste ich. Die beste Entscheidung meines Lebens. Denn Lufthansa steht für Deutschland. Ständig jammern auf hohem Niveau. Streiken, schlechter Service und dabei null kulant, Servicewüste vom Feinsten dabei viel zu überteuert.

Amsterdam ik hou van jou.

Es war auch OK, dass ich Bergkäse neben gutem Brot und der reichhaltigen und günstigen Produktvielfalt aus dem DM aus Deutschland exportierte. Noch lange sah ich keinen Grund mein neues Lieblingszuhause jemals wieder zu verlassen.

Es war es mir wert auf Drogeriemärkte zu verzichten. Einen dreimal so hohen Preis für mein Shampoo zu bezahlen wie in Deutschland. Ich ignorierte die Monotonie in der Freizeitgestaltung die sich allmählich anschlich, wenn ich merkte ich hatte die Wahl zwischen Strand und Festival. Oder Festival am Strand. Ich kannte beinahe alle Nutten im Rotlichtviertel. Hatte alle Museen durchgekaut noch bevor die Bäume ihre Blätter ließen. Ich kannte jedes gute Restaurant und hatte noch immer keinen Geschmack an der flämischen Küche gefunden. Eintopf und frittiertes. Jede Boutique, jedes Kaffee dass es lohnte zu besuchen war auf meiner Liste abgehakt oder per Zufall entdeckt.

Ich wollte nicht mehr kiffen, weil alles was legal ist, ist nicht mehr spannend.

Es nervte mich dass meine Hunde zwar kacken durften wo sie gerade gingen oder standen, sie dabei aber meistens an der Leine gehalten werden mussten. Ich konnte den Prosecco am Freitag nicht mehr sehen und vor allem- fehlte mir die Natur. Überall gab es Zäune oder Häuser oder Zäune und Häuser.

Wenn jemand frug wie es mir nach einem halben Jahr in Amsterdam so ging dann setzte ich ein strahlen auf und log knallhart „super ey, wie kannst du es in München nur aushalten. So lame, nichts geboten. Und ganz ehrlich, wenn ich Berge will, dann fliege ich eben ein Stündchen runter“.

Alles easy. Mein Leben hatte mir regelmäßig bedeutet: und bist du nicht willig so brauch ich Gewalt. Und hatte mich aus einem eigentlich guten Leben rein in ein selbstgebasteltes Chaos manövriert. Aber ich war so cool So hip. Bleibt doch alle da wo ihr seid. Ich bin so hart free. I’m livin’it.

Fakt war, ich litt völlige Sehnsucht. Nach der kulinarischen Vielfalt der deutschen Küche. Dem spontanen Trip in die Berge oder an den Lago. Unbebaute Natur. Skifahren. Wandern. Baden am See. Biergarteln. Klettern. Mich besaufen und dann nicht eine viel zu gigantische Auswahl an Clubs zu haben. Auswahl macht die Sache nicht leichter.

Meine Gedanken landen plötzlich im Hier und Jetzt als mich ein BMW-Fahrer abdrängt. Ich lächle nachsichtig. Ihr lieben guten süssen Deutschen. Fahr ruhig vor mit deiner Potenzschleuder. Mein Fiat und ich sind nicht auf der Flucht. Das zumindest habe ich aus Holland mitgebracht. Stoische Ruhe.

Kurz denke ich wieder an den Hashtag des Tages #wasmichandeutschlandstört.

Der Hashtag ist zu lang. Das stört mich. Und was noch? Das immer alle meckern, obwohl doch eigentlich alles gut ist. Vor allem hier in München. Gut die Wohnungen sind zu teuer. Und es gibt nur eine feine Auswahl an Restaurants. Immer dieses Gejammer. Ihr wollt ein überschäumendes Angebot an Kunst Kultur Clubs und Desweiteren? Hemmungslos der Konsumwelt frönen weil es nichts dekadenteres gibt, als über mangelnde Bespaßung zu jammern. In einer Welt in der gequält und gemordet, gelogen und gestohlen wird. In der wir unseren Planeten ausrauben damit auch die hippen Boutiquen nach der ja die ausgehungerten deutschen und die ewig schlechtgelaunten Münchner so schreien gut beliefert werden ohne dass die Mage von zweihundert Prozent Einbußen davon trägt…

Dekadenz, was ein Wort. Ich lenke mein kleines Auto auf die Autobahn und vor mir tut sich ein blaues Band purer Freude auf. Die Berge. Hinter mir meine kleine heile Welt. München. Ein Örtchen in dem ich mich relativ sicher bewegen kann. Auch Nachts. Auch als Frau. Und wenn’s mich nervt dann gab mir mein Leben die Mittel um die Ferne anzusteuern. Sei es als Reiseziel oder zeitweilige Residenz.

Hinten auf der Rückbank streiten sich meine Hunde um den besten Platz in der Box. Ich lächle und denke mir. Klappe da hinten. Wenn es euch nicht passt, dann wandert doch aus.

Weg fahren und Heimkommen

Na- wie isset 

Alles gut

echt? wat macht et Wetter?

Perfekt, wir waren auf der Piste. N halben Meter Neuschnee hats heute Nacht geschneit

Boa- nä ne, hier Regnet’s in einer Tour, da wirste bescheuert

 

jetzt ist es so

Naaaa- wie isset disch

passt scho

Wetter?

Beschissen

wart ihr schon Skifahren?

Na- worauf, auf Inlinern? Ich fahr an Lago, da hats 20 Grad

Ganz schwache Nummer vom Universum. Diese Posertelefonate mit der Verwandtschaft fallen also aus. Nix mehr mit dem Schön-Winter-Ego-Gepushe! HAHA- hier in Bayern da gibt‘s romantisch verschneite Natur.

Fett bezuckerte Giebel. Schneemänner in Hülle und Fülle. Und des ois – bei Kaiserwetter.

Was-wenn-Winter-wäre-Gedanken wälze ich schon lange nicht mehr. Klima-Katastrophen hin oder her. Neue Eiszeit? Sicher. Neue Erderwärmung? Klar.

Je nach Wettergott-Stimmung werden andere Endzeitdramen gestaltet.

Fakt ist, man kann sich einfach nicht mehr auf die Jahreszeiten verlassen. Sommer am See. Herbst in den Bergen. Winter auf der Piste. Frühling auf der Piste. Nix da.

Gemeinheit.

Es ist so- ich bin ein positiv denkender Mensch. Grundsätzlich. Naja, meistens. O.K., in der Regel. Auf jeden Fall versuche ich das Beste aus Situationen herauszuholen, die von Grund auf beschissen sind.

Weil? Täte ich das nicht, dann würde ich depressiv. Schlimmer geht ja in diesem Fall nicht mehr. Aber besser – ja das könnte klappen.

Was zum Henker tut man in München. An einem beschissenen verregneten Sonntag. Ins Museum? Ja. Im Bett bleiben? Auf jeden Fall. Kollektives zusammenhocken mit Freunden und oder dem Partner? Klaaar.

Wäre alles gut, wären zwischenzeitlich mal Gutwetter-Perioden, an denen man Münchens wunderschönes Umland genießen könnte.

Ich finde nach dem fünften Sit-In bei Freunden in Folge sieht es so aus: Was habt ihr so gemacht seit… letztem Sonntag? Nix. Ach echt? Ich auch nicht.

Also her mit den Indoor Aktivitäten in der Landeshauptstadt. Schnell wird klar: Ich habe schon einen Indoor Job. Was zum Teufel will ich mit Wochenend-Indooraktivitäten.

Ich muss mich bewegen. Hölle nochmal.

Oder – und sofort ringelts bei mir – ich verlasse die Stadt.

Ich liebe es die Stadt zu verlassen. Es gibt da so ein schönes Lied mit dem Text „Only hate the road when you’re missing home“. Also, wenn ich von Zuhause weg bin, dann stört mich das schlechte Wetter Zuhause vielleicht nicht mehr. Im Gegenteil, vielleicht freue ich mich dann auf all die Dinge, die mich derzeit an- (entschuldigt die Wortwahl) kotzen.

Während ich meinen leicht in die Jahre gekommenen Laptop starte und ihm stundenlang beim Arbeiten zusehe, drehen sich meine Gedanken…

Es ist ja so, dass München eher einer großen Kleinstadt, als einer kleinen Großstadt ähnelt.
Aus diesem Grund ist es beinahe eine Pflicht hin und wieder den Koffer zu packen. Ich betone Koffer! Und nicht Rucksack. Ich gehöre nicht zu den Hobbyhippies die zum Zwecke der Reise und Coolness ihre Hosen gegen Haremswindeln tauschen. Sich mit Fußkettchen behängen und Perlen in die Haare knoten. Ich bin unter echten 68ern aufgewachsen, daher weiß ich was einen  „Aussteiger“ ausmacht. Und die barfüßigen Traveller, die sich instant mit dem Wifi und der Welt „connecten“, noch bevor sie sich das Getränk im Lokal bestellt haben, das ist nicht echt. Also bleibe ich lieber der Touri, der mit seinem Trolley durch vertaubte Straßen stapft. Wenigstens werde ich nicht ungläubig angeschaut. Wie kann so ein ungepflegter Mensch aus Europa kommen?
Die Frage ist ja auch: man ist, wer man ist. Ist es sinnvoll sich für den Urlaub eine andere „Haut“ überzuziehen, nur um dem Trend zu folgen?
Ich meine ja, dass man den Urlaub zum Zwecke der Erholung angeht. Kann man als jemand Anderes überhaupt das volle Erholungs-Pensum erreichen?!
Ich glaube nicht. Aber lassen wir dies.
Ich stelle die Frage beiseite… Kann ja jeder selber eruieren. Räusper.

Und gerade als mich das Dörfliche Flair und dieser permanente Schnee-Regen-Wetter-Wechsel in München also einengt, hat sich mein Rechner gefangen und ist bereit für sämtliche Schandtaten. Ich gehe auf Skyscanner und tippe: MUC nach BKK. Reisedauer- 3 Wochen. Günstiger Flug in die Thailändische Hauptstadt – Check.
Visum – ganz easy und kostenfrei am Immigration-Counter. Toll.
Bangkok. München ist so überschaubar dass immer klar ist, was wo ist. Und Thailand ist toll, so als Frau und so – lässt sich so schön einfach bereisen. Das Essen schmeckt. Die Menschen sind freundlich. Optimal. Nicht gerade einfallsreich, wenn man bedenkt wie viele Länder der Globus beherbergt, aber wir wollen ja nicht übertreiben.
Ich stehe also in Thailand angekommen, geschlagene zwanzig Minuten an einer gefühlten Fünfzehn-Spuren-Straße und tripple nervös einen Schritt vor und zurück. Wie kann es sein, dass ich hier einfach nicht rüber komme. In München auf der Leopold schaffe ich es doch auch. Ohne Ampel möchte ich betonen. Also. Von Spur zu Spur. Durchatmen. Schaffe ich hier auch. Schließlich renne ich in panischer Angst zwischen hupenden Autos und Klingelnden Tuktuks durch. Schreiend. Geschafft. Ich bin sowas von bereit für die Großstadt denke ich mir hysterisch kichernd auf der anderen Seite. War ja nix. Ein Klacks. Ich bin so cool. Ich sollte in eine echte Metropole ziehen. Mit richtig vielen Menschen, wo ich in der U Bahn nicht ständig das Gefühl von Déjavue habe, weil mir ein Gesicht bekannt vorkommt.
Fakt ist, wenn ich in München sage Zentrum dann ist klar, wo man sich trifft. Marienplatz. Fischbrunnen. Beinahe jede meiner Beziehungen ist dort gestartet. Wenn ich in München zu Stoßzeiten über den Ring muss, dann nervt es zwar Stoßstange an Stoßstange den popelnden Nebenfahrern beim Anfahren und bremsen zuzusehen. Aber man hat das Ding in maximal eineinhalb Stunden gerockt. In einer echten großen Stadt? Gibt es selten nur EINEN Ring. Und man braucht ein halbes Leben, sollte man es wagen zur Berufszeit fünf Kilometer von A nach B zu fahren.
Zentrum in Berlin? Ich wurde schon ausgelacht, als ich locker flockig zu einer Freundin meinte „Hey lass uns in ner Stunde im Zentrum treffen“. Haha. Und welches von den fünf meinst du? Und dann noch in ner Stunde? Niemals. Märkte in München. Also Nennenswerte – Großmarkthalle. Viktualienmarkt. Beides hat man innerhalb einer halben Stunde gescannt. In Bangkok zum Beispiel? Ich glaube ich muss hier zwei Monate verbringen, um jeden größeren Markt auch nur Ansatzweise gesehen zu haben. Ich schiebe mich durch die Reihen und Gänge. Gespickt mit guten und weniger guten bis hin zu ekligen Dingen. Sauge alles in mir auf. Mindshot, für die langweiligen Sonntage Zuhause. Nach zehn Minuten bin ich sowas von geflashed, dass ich nicht mehr weiß was der Stand einen Meter zuvor verkauft hat. Also packe ich meine Kamera wieder in die Tasche und schleiche geladen mit Eindrücken davon.

Anschließend wieder auf die Straße. Ja Mann! So riecht eine echte große Stadt. Nach Abgasen. Und Menschen. Und Essen. Es ist so schön warm. Okay. Ein bisschen sehr warm. Wäre schön, wenn ich etwas Sonne speichern könnte, so für schlechte Zeiten. Naja. Ich bin halb schwarz, mit dem bisschen Thaisonne werde ich ja wohl umgehen können. Ich wische mir über die Stirn und huste als ein Bus vorbei scheppert. Ich bin so der krasse Globetrotter. Ich hab es massiv drauf. Ich kaufe mir ein Fleischspieß vom Straßenstand und schlendere nachlässig lächelnd an den in Reih und Glied sitzenden Touris an einer Kneipe mit der Aufschrift „we also sell western food“ vorbei. Ihr Looser. Ich verlaufe mich auch nicht. Kann ja nicht so schwer sein. Deswegen habe ich die Karte auch im Hotel gelassen. Gefunden wird jede Destination beinahe sofort. Naja fast. Hatte mich wohl im Viertel vertan. Aber ich finde schon wieder raus. Ganz leicht. Der Fehler hier ist klar, ich hatte Münchner Verhältnisse im Blut gehabt. Hier ist ein District etwas größer. Nicht wie der Gärtnerplatz. Schnell überschaut und überquert.

Egal. Du wolltest big City. Da haste se. Und jetzt schweig still. Ich frage wo ich bin und werde ausgelacht als ich zeige wo ich hin möchte. Zu Fuß? Haha. Stupid Tourist. Oh Mann. Wie kann eine Stadt mit so kleinen Menschen nur so riesig werden? Und wieder, ich hab bekommen was ich wollte. Eine Großstadt. Nach ein paar Tagen geht’s doch eh happy auf die Inseln. Also durchhalten. Und die immensen Dimensionen in mich aufsaugen. Das gute Wetter. Die Hitze. Zuhause ist es wieder kalt. Regen. Schnee. Schnee. Regen. Da wartet nicht viel, nur die Sit-Ins warten. Naja. Und mein Sparhund.

Am Ende komme ich wieder gut erholt nach Hause. In das beschauliche München. Wo alles dort ist, wo es hin gehört. Und dann weiß ich wieder wofür Reisen gut ist. Um zu schätzen was man hat. Das war doch meine Intension oder? Zu wissen: Zuhause ist es schee. Kein Durchfall nach einem Essen auf der Straße. Überschaubare Märkte. Sich schnell verabreden und auch finden. Angeben wenn man „nur“ ne Stunde im Stau stand statt zwei. Saubere Toiletten. Wasser kostet immer so viel wie es auch dran steht. Und vor Allem: damit posen wie geil der Urlaub war. Mal raus. Neue Menschen. Gutes Wetter. Und es war ja so krass und so geil. Nur gute Vibes. So viele neue Eindrücke. Zuhause ist es ja sowas von beschissen. Wenn ich könnte, also ich würde ja sofort auswandern. Ganz klare Sache. Und das zeige ich dann auch auf meinem Instagram Account. Ich bin so toll, ich verlasse Europa in regelmäßigen Abständen. Nicht wie ihr nur nach Malle ihr Spießer. Fleißig suche ich nach Hashtags. After-Urlaub ist ja beinah besser als vor oder während dem Urlaub. Weil Deutschland ist ja sowas von langweilig und kleinkariert. Und überhaupt.

Nachdem ich auf meinem Sit-In alle meine Fotos hergezeigt habe flitze ich zur U-Bahn. Doch bei all meinen guten Vorsätzen, von meinem Urlaub zu zehren. Im Schacht angekommen habe ich meine guten Vibes und alles wieder vergessen. Ich bin in meinem alten Fahrwasser drin. Ich werde mich aufregen weil die U-Bahn fünf Minuten zu spät kommt. Ich mache ein extra genervtes Gesicht damit jeder weiß, dass ich ungehalten bin. Und als ich dann im Wagon sitze, freue ich mich heimlich auf die Couch und den Fernsehabend bei schlechtem Wetter. Alles was von meiner Flucht in die Ferne zeugt- ist die verblassende Bräune.

Hello and Goodbye. Bis zur nächsten Flucht in die Sonne…

3,2,1 Frohes Neues…

All diese Ereignisse haben etwas gemeinsam- die Erwartungen an diese Feiereien sind einfach viel zu hoch, als dass sie irgendeine Chance hätten dem gerecht werden zu können. Wenn ich also antworte: ‚schieb dich mit dieser Frage, ich mach das einzig vernünftige, ich geh ins Bett!‘
Dann werde ich angeglotzt wie der allererste Mensch. Aber ehrlich. Jedes Mal wenn ich versucht habe die Jahreswende zu feiern, dann ging das in die Hose. Ein verrückter orientierungsloser Pyromane fackelt meine neuen Sneaker an. Klar Junge, wenn du zu voll für einen Knallteufel bist, dann geh nach Hause. Das superteure Essen im superteuren In-Lokal in München wurde seinem „super“ nicht gerecht.

Die Hausparty bei mir endete damit, dass mein damaliger Partner zum Sprinkler mutiert ist- statt den Rasen mit Wasser hat er allerdings um dreiundzwanzig Uhr vier mein Bad mit Erbrochenem besprüht. Beziehungskrisen. Überteuerte Böller. Verängstigte Tiere. Mit Schwefel verpestete Luft. Miese Partys. Schlechte Paillettenoutfits. Das alles verbinde ich mit Silvester.

Hübsch nicht?!

Wenn mich jetzt also jemand fragt, was ich an Silvester tue, dann muss ich gründlich überlegen. Es ist ja so – an Neujahr sind alle in der Heimatstadt. Alle Freunde von Früher, heute und morgen. Noch da und völlig überfressen und orientierungslos von Weihnachten. Desillusioniert nach den Familienstreitigkeiten und oder Dramen unterm Tannenbaum bei Mutti. Sie alle lechzen nach Freunden. Eine erfrischende Abwechslung nach den kurzen aber doch so langen Feiertagen. Diese komische Übergangszeit zwischen den Jahren. Endlich geht es weiter. Das neue Jahr steht vor der Tür. Unsere Wünsche und Vorsätze noch jung und frisch. Bereit eingehalten zu werden. Vielleicht eine neue Liebe an unserer Seite. Das erste Silvester mit dem neuen Partner. Ein Zukunftsversprechen. Mit dir ey- mit dir plane ich nicht nur mein kommendes Jahr, sondern vielleicht den Rest meines Lebens!

Silvester ist wie IKEA. Man startet hinein- voller Euphorie und Plänen. Dieser Abend wird das anstehende Jahr wiederspiegeln. Alles neu. Alle Chancen noch offen. Ich höre auf zu trinken (OK morgen) ich suche mir einen neuen Job (OK nach meinem Winterurlaub) ich ziehe mit meinem neuen Partner zusammen (wenn er sich gut macht). Und dann- genau wie bei IKEA- nach dem dritten Gang merkt man, das entspricht nicht meinen Vorstellungen. Viel zu teuer. Viel zu viele Deppen. Die Fleischbällchen haben auch schon mal besser geschmeckt.

Um elf Uhr also startet die erste Müdigkeitswelle, weil Kinder, wir sind auch nicht mehr die Jüngsten. Also tue ich was dagegen und trinke schneller. Je dichter ich bin, umso lustiger- oder? Und dann wird mir schwindelig, ich pfeife auf meine Vorsätze und stecke mir vielleicht noch ne Kippe an. Dann wird mir schlecht. So läuft das immer. Oder? Kurz vor zwölf die Panik, wo hat man die beste Aussicht auf das Feuerwerk. Man muss schon dabei sein, und zusehen wie eine Jahresration an finanziellen Mitteln, die den Hunger in Afrika bekämpfen könnten, sinnlos in die Luft geballert werden. Dann die Enttäuschung. Durch den ganzen Nebel und Qualm sieht man die von „Aaaahhh’s“ und „Ooooohhhh’s“ begleiteten Feuerwerkskugeln kaum.

Wie hübsch.

Wäre das Feuerwerk auch erledigt. Das runterzählen. Die überlasteten Netze, weil sich Hans und Franz ein glückliches neues Jahr wünschen muss. Man hört sich nie. Aber an Silvester ist alles anders. Und dann. Stiefelt man mit seinen zu engen aber sündhaft teuren Hacken durch den Regen (Schnee an Silvester habe ich aufgegeben) zum nächsten mega Club. Weil da werde ich bis morgen früh um elf in das neue, erfolgreiche, super gute, mit allen Chancen offene, neue Jahr tanzen. Mit all meinen coolen Freunden. Ohne Streit. Und meinem neuen Partner. Sahne. Das witzige ist, schon am nächsten Tag holt einen Alles ein.

Die Party war der Reinfall des Jahres. Um drei habe ich mich nach Hause gequält. Am nächsten Tag mittags aus dem Bett geschält, die Hälfte meiner Vorsätze noch in der Nacht über Bord gekippt. Na gut, vielleicht finde ich ja irgendwo eine Omi, der ich über die Straße helfen kann. Dann bleibt wenigstens etwas von meinem Neujahrskarma bestehen.
Ich merke ich habe einen Haufen Geld ausgegeben. Meine Freunde von früher sind nicht mehr die Freunde von morgen, weil ich im *Suff* etwas gesagt habe, dass sie vergrault.

No thanks.

Mein Silvester – Freunde, wird so ausschauen: Ich gönne mir ein dickes Käsefondue. Lege mich um elf ins Bett. Wache am nächsten Tag früh auf und ab in die Berge. Läge Schnee würde ich boarden gehen, am ersten des neuen Jahres haste die Piste nämlich für dich. Und abends- höre ich mir die Geschichten meiner Freunde an, die von ihrem *ach so tollen* Silvester erzählen. Dann freue ich mich. Denn ich bin fit. Meine Vorsätze haben noch eine Chance und ich habe mir einen Haufen Frust erspart. Und das bevor das Jahr überhaupt zwölf Stunden alt ist.

An dieser Stelle stellt sich mir allerdings folgende Frage; Liegt es an der Stadt, ob das Neujahrsspektakel eine Chance hat, oder nicht?
Kann ich, zum Beispiel in einer Stadt wie New York davon ausgehen, dass das die Party des Jahres wird? Größere Stadt, größere Chancen? Hippere Stadt, hippere Partys? Mehr Menschen, mehr Spaß?
Wohnte ich in Berlin, würde ich dann über einen Gullideckel stolpern, unter dem sich die Feierei des Jahrhunderts abspielt?

Ich glaube nicht. Wie kann denn eine Stadt alleine überhoch gesteckten Erwartungen gerecht werden?

Vielleicht probiere ich es dieses Jahr wie folgt: Ich kaufe mir nicht das Partykleid des Jahres. Trinke nicht um gutgelaunt zu werden. Esse nicht zu viel. Verzichte auf das Feuerwerk und gehe ohne hohe Erwartungen und krasse Neujahrsvorsätze über in das neue Jahr.

Letztendlich. Was ist das schon?! Es ändert sich nichts. Wenn ich will kann ich auch am dritten August gute Vorsätze niederschreiben. Ich kann jederzeit mit meinem Freund zusammenziehen. Ich kann immer aufhören zu trinken. Und alten Menschen über die Straße helfen. Ich kann alles und immer. Ich brauche dafür keinen festgelegten Tag. Ich brauche kein 00:00 um den Menschen um mich herum zu sagen, dass ich ihnen alles Gute wünsche. Ich brauche keinen 31.12. um die Party des Jahres zu feiern.

Ich kann alles. Und immer. Das beruhigt. Ungemein.

In diesem Sinne- Prost ihr Lutscher. Heute geh ich früh ins Bett. Und wehe einer von euch ruft mich um Mitternacht übervoll an. Das ist eine Warnung. Und ein Versprechen. Happy New Year!

Ende Gut, alles Gut

Ehrlich. Was ist schon WhatsApp. Eine Ansammlung an falsch geschriebenen Wörtern oder gar nur Abkürzungen, gespickt mit kleinen bunten Bildchen und schrägen gelben runden Köpfen, die uns die Emotion abnehmen. Oder zum Ausdruck bringen.
Ernsthaft. Ich habe einen Bekannten, der besitzt kein Handy. What? Dachte ich zuerst. Und dann, wenn eine Email von ihm kam, dann war sie so … nackt. Ja genau.
Nicht mal Punkt- und Komma – Smileys kennt dieser Mensch.
Also ziemlich schwer, heraus zu finden, ob der das jetzt ernst meint, oder war es Ironie? Oder vielleicht doch… ach zum Teufel.

Eine schöne Email zu erhalten ist also nicht ganz einfach. Aber einen Menschen gibt es da, der hat Ahnung. Voller Vorfreude öffne ich also die Mail.

Thema Fußball.

Ja Fuppes- da scheiden sich die Geister und es polarisiert ziemlich. Ich zum Beispiel liebe Fußball. Ehrlich. Alle vier Jahre finde ich es toll. Weil wir als Deutsche endlich mal ohne Scham und völlig Vaterlandsverliebt unsere Nationalhymne röhren können.

Dass wir da nicht viel Übung haben, sehen wir ziemlich schnell, kaum einer kann den ganzen Text samt Melodie fehlerfrei von Anfang bis Ende…

Aber wurscht. Fußball erlaubt es uns patriotisch zu sein. Volles Rohr.

Deswegen mag ich Fußball. Alle vier Jahre zur WM.

Und mag ich Fußball außerhalb dieser Zeit? Nö- Ja ich weiß, das zu sagen ist kriminell. Und das in Bayern zu sagen gleicht einem Landesverrat. Steh ich zu.

Aber – was ist Fußball wenn wir währenddessen noch die Wiesn haben und zentraler Umschlagsplatz für heimatlos gewordene Menschen sind?!

Chaos. Und man addiere zu dem ganzen Mist noch unfähige Autofahrer (ja, in Deutschland ist es schwer richtig gute, zackige, selbstlose Autofahrer zu finden) und den MVV.

Der MVV. Ich persönlich fahre lieber bei minus 30 Grad mit dem Rad, als einen dieser stinkigen Züge von innen zu betrachten.

Ganz ehrlich Freunde. Wenn ich in ein Restaurant gehe und für einen Zwänner ne Mittelmäßige Pizza und ne lacke Cola erhalte, dann würde ich doch aufstehen und ihnen den Vogel zeigen. Wenn die TK Pizza dann auch noch ohne Angabe von Gründen pauschal mal 20 Minuten zu spät, oder besser, einfach gar nicht geliefert wird… dann… ja, dann ist das echt zu vergleichen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in unserer schönen Landeshauptstadt.

Wie gut…

Mein Freund schreibt also- und ich öffne noch einmal schnell die Email, um ganz sicher zu gehen, dass er vom Stadion aus bis nach Hause (lassen wir mal das Drama, dass manche Menschen offensichtlich zu blöd sind um ihre Karre aus dem Stadionsparkhaus zu bugsieren und deswegen einen stundenlangen Stau verursachen, außer acht)- also er schreibt, dass er zwei geschlagene Stunden nach Hause gebraucht hat. Von einem Ende von München ans andere. Nicht mal. Äh what?!

Ohne Witz, in der Zeit laufe ich doch. Und zwar nicht nur vom Stadion, ich lasse beinahe die Weißwurscht Grenze hinter mir… Und zu dieser kommen wir später noch einmal.

Ich lese die Email nochmal und schließe sie. Aus dem Radio trötet DJ Ötzi mit „Hey Baby“ und ich werde fast ein wenig sentimental. Direkt nachdem ich kurz froh war, dass sie mich noch drei weitere Minuten mit Helene verschonen. Mit diesem Lied bin ich beinahe aufgewachsen. Ich kann mich noch erinnern, dass ich mit zarten sechzehn Lenzen zu diesem Song auf der Bierbank gehopst bin und völlig verantwortungslos auf fremden Bierkrügen gesoffen habe. Scham di…

Und so bin ich wieder bei der Wiesn. Neben Fußball erlaubt sie es uns also jedes Jahr Heimatliebe zu bekunden. Und zwar Lokale. Dann bin ich stolz eine Münchnerin zu sein. Hier aufgewachsen zu sein und ja – auch den Dialekt zu sprechen, wenn ich das will. Und das, obwohl man es mir nicht ansieht. Ein Kumpel hat mal gesagt, ich bin eine bunte Bayerin. Eine Mubayerin- Mulattin und Bayer. Super.

Mein Blick schweift rüber zur Couch auf der meine Auswahl an Trachten bereit liegt. Damals, also vor mehr als einer Dekade, war ich eine der wenigen Teenies, die in Tracht auf die Wiesn gerannt ist. Die überhaupt auf die Wiesn gegangen ist. Denn dieses übergoße Volksfest, von dem eh nur 2% der Weltbevölkerung wissen, warum es überhaupt stattfindet, war ja lange Zeit uncool und nur für Omis.

Und wir fanden’s mega. Weil man dann neben anders dann extrem anders geworden war. Und ich für meinen Teil liebe es anders zu sein. Normal anders…

Ich habe also früh gelernt, stolz auf meine Kultur zu sein. Auch wenn meine Mutter immer fand, dass ein Dirndl und ein Almfest nicht zu einem Schokofarbigen Mädchen mit Rastazöpfen passen. Ich zog das durch. Schon immer gab es für mich nichts heimeligeres als zümpftige Musi und knackige Männerwadeln in Lederhosn.

Und – niemand ist so großzügig im Teilen der Kultur wie die Bayern.

So sehe ich das, wenn ich an das Multikulti auf der Wiesn denke- der Australier, der sich a Krachlederne kauft. Der Inder, der zur Volksmusik mit schunkelt und die kleine Japanerin, die sich wacker eine Maß nach der anderen rein kippt, weil die „Einheimischen“ das ja auch so betreiben. Zur Wiesn will jeder einmal Bayer sein. Und es wird kräftig nachgeahmt. Und toleriert. Ob es den Möchtegernbayern jetzt gelingt oder nicht.

„Oans, zwoa drei….“

Vor zwei Jahren zum Beispiel war ich in Thailand, ein kleiner Strandverkäufer kam in seinem Bayerntrikot daher und wollte Eis verkaufen. „No sänks“ war meine Antwort.

„Oh- Germany?“ sofort strahlten seine Augen
„Jep“
„Woher kommst du?“
Ich bin platt… Er spricht deutsch
„Munich“

„Ahhhh“ beinah überschlug sich seine Stimme und was dann geschah… Der kleine Thai-Mann fängt an auf Bayrisch zu reden „Ja servus….“ Und so weiter. Also. Nicht nur ein Münchner ist stolz darauf Münchner zu sein. Sogar der Eisverkäufer auf Koh Samui. Und er hat alles aus dem Fernsehen und/oder von Bayrischen Touristen gelernt. Er hat diesen Teil der Erde also noch nie betreten, fühlte sich aber trotzdem als ein halber Bayer.

Wenn es also nicht gerade um den Saftverein des MVV geht, dann kann man echt stolz sein, aus München zu kommen. Denke ich mir. Man muss nicht auf die WM warten, um überstolze Heimatgefühle zu entwickeln. Man hat jedes Jahr die Wiesn. Und dazwischen noch die Spiele des FCB. Mia san mia…

Hier hat der kleine Mann mit dem komischen Bart und dem Seitenscheitel keinen faden Beigeschmack hinterlassen. Zumindest nicht, wenn man ganz ungehemmt seiner Vaterlandsliebe frönen möchte. In München darf man das. Warum? Weil Münchner eh viel toller als alle anderen sind. Und das gilt auch für die kleineren Grenzen innerhalb des Deutschen Landes. Sogar innerhalb von Bayern. Denn a Bayer ist nicht gleich a Bayer.

Dafür sorgt der altbekannte Weißwurstäquator: er teilt im Bundesland Bayern das Weißwurst- vom Bratwurstland. Im Wesentlichen also, Altbayern von Franken. Der Verlauf der Donau steckt es ab. Wieder was gelernt.

Ich greife nach meinem Handy. Tippe das grüne Symbol mit der Sprechblase an, wähle einen Kontakt und schreibe. „Wiesn?“ Öffne das Emoji Sortiment und wähle einen Ziegenbock, dann wieder ein Fragezeichen, eine tanzende Frau, einen Maßkrug, zwei Maßkrüge, Punkt, Punkt, Punkt und eine Spirale. Auf geht’s…

EWIGE FREUNDSCHAFTEN – Oder wie man in der Landeshauptstadt FREUNDE findet

Was soll ich denn jetzt mit dem angerissenen Tag treiben?! In anderen Städten müsste ich wenigstens bis abends im Büro hocken und könnte dann ruhigen Gewissens in die Kiste oder die Couch fallen. Gott, wie mir die G’miatlichkeit manchmal auf den Geist geht. Danke Bayern, wegen dir ist mir langweilig und oben drauf wird mir wieder klar – alte, du hast keine Freunde in dieser Stadt…
Okay, mein Hang zum Übertreiben. Ich habe Freunde. Es ist nur so- nicht nur ich habe mal diese Stadt verlassen. Auch meine ganzen Schulfreunde haben das Weite gesucht… Oder geheiratet, was fast dasselbe ist. Und vor allem Berlin, diese große hässliche, wunderbare Stadt, sie hat die meisten meiner Bekannten verschluckt und weigert sich, sie wieder raus zu geben.

Ich greife nach meinem mobilen Endgerät und scrolle durch meine Kontakte…

Trinkt nicht, ist schwanger, verzogen, streit, hat mir vor zehn Jahren meinen Freund ausgespannt, steht auf Schlager Musik zum Ausgehen… Wie mies…

Da fragt man sich doch, wo man hier in München gepflegte Freunde findet. Mit einem Schlag an ähnlicher Stelle wie ich, es muss ja schließlich passen.

Ich habe auch einiges versucht. Fakt ist,  dieser ewige Drang der Menschen zu einer Beziehung vermiest die ganze Geschichte enorm.

Wäre ich auf der Suche nach einem Partner, ich hätte instant fünfzig Portale zur Auswahl. Und mal unter uns und ganz leise, ein paar davon habe ich ausprobiert. Entweder gerätst du da an Sexwütige Spinner… Oder eben einfach nur Spinner. Aber schon klar, normale anständige Menschen haben es ja nicht nötig, sich bei Tinder oder Shop a Man anzumelden. Sie haben Freundeskreise und da wären wir wieder beim Thema.

Ich schnaube und zünde mir eine Zigarette an. Ja, Schande über mich. Sogar mein Hund sieht mich vorwurfsvoll an. Tut er aber meistens. Ich ignoriere meine Designerratte und überwinde mich. Wähle wahllos einen Kontakt. Gleich tutet es. Im letzten Moment fällt mir ein- hey, ich habe ja etwas vor. YEAH!

Nur eine Stunde später sitze ich meinem langen, aber semi guten oder sagen wir weniger-engen Freund gegenüber. Das dritte Helle hat meine Zunge gelöst.

„Es ist doch kacke“,  jammere ich „ München ist so…. Ich weiß auch nicht, wo findet man hier Freunde?!“

Mein Gegenüber grinst mich an. Kurz frage ich mich, war es sein fünftes Bier, oder macht er sich über mich lustig?! Egal.

Ich muss dran denken, wie ich ihn kennen gelernt habe, wieder beim Thema angekommen, über eine Freundin. Komisch, mit dieser Freundin habe ich heute keinen Kontakt mehr. Obwohl wir ziemlich gut befreundet waren. Sind Männer etwa konstanter, ausdauernder, was Freundschaften betrifft?! Und die Bayerischen Männer noch mehr als andere?! Denn wenn ich eines gelernt habe, hast du in München Freunde, dann hast du sie! Nur der Weg dahin…

Das ist ja mein Problem, in München Freunde zu finden ist hart.

Mein Kumpel setzt an und tadaaa, er hat die Lösung, wie immer. Vielleicht sollte ich das auch mal so angehen. Das Problem ignorieren, einfach die Lösung sehen.

Jetzt weiß ich wieder, was ich an Männerfreundschaften schätze, sie sind so einfach. So unkonventionell. Und wenn es dann auch noch eine bayerische-Männerfreundschaft ist, überlebt sie dich sogar um Jahre.


…. „Ich gehe auf einen Boaznbash“ strahle ich eine Freundin an.

Sie sieht mich an wie ein Auto- Okay, gut, ich sollte mich erklären. Kann ja nicht jeder so hip mit noch hipperen Freunden wie ich sein…

Wir überqueren den Odeonsplatz und watscheln auf das Posercafé schlechthin zu.

Ich würde mir hier vorkommen wie ein Ausstellungsstück. Alle sitzen mit ihren Stühlen dem Platz zugewendet und glotzen uns hinter ihren Ray-Bans blöd an. Ich frage mich, wer sieht hier wen?! Bin ich das Beschauungsobjekt, oder diese Münchner-Möchtegern-Schickeria hinter ihrem überteuerten Spritz….

„Naja, ich treffe mich mittags mit einer Horde Menschen, betrinke mich und knüpfe Kontakte“. Ich muss ihr die Ernsthaftigkeit meines Vorhabens dringend erklären. Es geht hier um Leben und Tod, oder eben Einsam leben oder nicht…

„Es ist perfekt, das sind alles Freunde von zwei sehr lieben Personen, deren Menschenkenntnis traue ich zu einer Million Prozent!“ ich runzle vielsagend die Stirn und sehe sie forschend an.

„Aha“, sie sieht auf ihre manikürten Finger. Ich grinse in mich hinein, dass sie meine Euphorie nicht versteht ist klar. Sie gehört zu den Klischee-Münchnern. Die, denen die Stadt den Ruf der Spießigkeit und der Oberflächlichkeit verdankt.

Eigentlich sollte ich sie gleich hier am Odeonsplatz abladen. Aber ich liebe sie. Jeder Mensch braucht Freunde, die ihn wiederspiegeln, in einer Stadt wie München brauchst du aber auch ein Pendant. Nur so. Um die ganzen anderen Münchner weiterhin zu verstehen.

„Und in was für Kneipen zieht ihr dann so?!“ – Oh ja, sie mag aussehen wie alle anderen Mädchen in dieser Stadt, ganz einfach, weil sie sich optisch nicht von 99 % der weiblichen Stadtbevölkerung der Landeshauptstadt abhebt. Aber- sie versucht auch mich zu verstehen. Ich bin sozusagen ihr Pendant in die… Sagen wir mal etwas unkonventionelleren Seite der Macht… Äh Stadt…

„Na, das sagt der Name schon. Boazn, kleine Kneipen“

Sie rümpft ihre fein gepuderte Nase. Komisch, sie ist hier in dieser Stadt geboren, aufgewachsen und alles. Aber was hinter dem Ausdruck „Boazn“, steht muss ich ihr erst erklären?! Dass eine Boazn etwas ganz feines, familiäres und vor allem in der richtigen Gesellschaft etwas super Lustiges ist, kommt ihr nicht.

Ich sehe an ihrem Gesichtsausdruck, dass sie damit nur folgendes verbindet: Harzer, Alkis, dunkel, eklig und unter ihrem Niveau.

Mittlerweile sind wir in dem Lustgärtchen angekommen. Eine für ihr Kleid zu dicke Braut posiert fröhlich für den Fotografen und innerlich hebe ich den Daumen. Perfekt, die macht was sie will. Und wenn sie sich dieses Kleid eingebildet hat, dann sollte es auch dieses sein. Auch weit jenseits der 36.

Meine Gedanken schweifen. Das Problem vieler Münchner und der Deutschen im Allgemeinen ist doch, sie sind zu oberflächlich und meinen immer, sie wären das non plus Ultra. Fail.

Wissen wir denn was für ein Spaß uns entgeht, wenn wir es nicht einmal ausprobiert haben?! Wissen wir vorab, dass die täglich alkoholisierte Oma in der Boazn nebenan vielleicht einmal eine feine Dame war, die die Welt bereiste, bis der Schicksalsschlag kam und ihr  ihren Wohlstand raubte?!

Nein, wissen wir nicht. Wenn wir also die Augen öffnen, einmal etwas für unseren zu begrenzten Horizont tun und zum Beispiel die kleine Kneipe ums Eck aufsuchen, dann bekommen wir die Chance zu sehen, was hinter den Menschen steckt.

Zum Teufel mit den ganzen Schickimicki‘s, die dort in Reih und Glied unter ihrem wärmenden Deckchen sitzen und ihre Weinschorle schlürfen. Sie denken sie haben alles gesehen, nur weil sie vierzehn Tage auf den Malediven in der Sonne lagen.

Echte Horizonterweiterung fängt doch hier an. Bei mir, bei den Menschen, die ich sonst nie wahrnehme, die aber Geschichten zu erzählen haben.

Ich krame in der Hosentasche und werfe dem Straßenmusiker an der Unterführung zum Englischen Garten ein zwei Euro Stück in den Gitarrenkoffer. Gute Tat vollbracht. Underground Künstler gefördert. Check.

„Du kannst sagen was du willst“, wende ich mich meiner Freundin zu und unterbreche sie bei ihrem hektischen Getippe in Whatsapp.

„Ich gehe auf den Boaznbash- und wenn ein Höllenrausch das einzige ist, was ich davon trage. Sei’s drum. Ich bin vielleicht zu alt für den Fehler des Betrinkens, aber jung genug um ihn immer wieder zu begehen.“

„Amen“ grinst sie und hakt sich bei mir unter.

Nur paar Tage später habe ich zehn neue Freunde auf Facebook, drei neue Telefonnummern in meinem Smartphone gespeichert und ein Wanderdate für das kommende Wochenende.

Und ich weiß genau. Die einen Freunde kommen, die anderen gehen, manche bleiben. Und das Beste an der Geschichte ist- neue Leute lernst du in einer Stadt wie München am besten über alte Leute kennen. Wirklich. Denn Leute, die schon Freunde sind harmonieren ja in gewisser Weise mit dir. Somit muss die Chemie zu den *neuen* Leuten ja (nicht immer aber meistens) stimmen.

Und wenn du ganz neu nach München kommst, dann vielleicht in der Arbeit oder, ha, du quatscht deinen Tischnachbarn in der aktuellen In-Kneipe an. Dann könnt ihr zusammen eure Louis ausführen und über das Outfit der Passanten lästern…

MÜNCHENS KUNST und wo man sie FINDET

Wenn meine Tochter mir mit stolz geschwellter Brust ein krakeliges Bild unter die Nase hält, dann weiß ich zwar, dass sie niemals Kunstwettbewerbe gewinnen wird, aber mein liebendes Mutterherz sagt: Toll, kein anderes dreijähriges Kind kann so gut malen wie das Meinige. Und dieses Kopfmännchen ist der Knaller.
In einer Stadt wie München Kunst zu finden ist demnach, wenn man nicht besonders anspruchsvoll ist, wie ich im Falle der selbsternannten Kunstwerke meiner Kleinen, auf den ersten Blick schwierig.
Wir beherbergen keine gigantischen Bauwerke, auf denen ein in flackernde Lederjacken gehüllter „Hoff“ Freiheitshymnen sang. Keine riesigen Kirchen. Keine mittelalterlichen Burgmauern.

Das deutsche Museum ist abgekaut, die Glyptothek schon zu Gymi-Zeiten abgearbeitet, und gehört zu der „toten“ Kunst. Immer noch großartig aber nicht mehr zeitgemäß.

Wenn wir uns also kulturell weiterbilden wollen, müssen wir genau hinschauen. Dies kann vielleicht einer der unzähligen Straßenmusiker in der Kaufinger Straße sein (wobei sogar die mir inzwischen zu Mainstream geworden sind) oder eine abgefahrene Persönlichkeit. Jep, auch lebende Menschen können Kunstwerke verkörpern.

Wenn ich an Kunst denke, dann kann sich diese musikalisch, als auch bildlich darstellen. Ich gebe es zu. Ich hatte im Kunstunterricht und im dazugehörigen Abschluss nur eine 4, aber da Kunst ja individuell ist, zählt diese Note nicht… Oder?! Kunst ist eine Passion. Künstler zu sein, eine Lebenseinstellung.

Wenn ich überlege, ich habe viele solcher selbsternannten Helden in meinem Freundeskreis. Einer ist Überlebenskünstler. Ein anderer hat es auf heldenhafte Weise bis zu seinem zweiunddreißigsten Lebensjahr trotz maßlosem Alkoholkonsums geschafft jung und vital auszusehen. Auch das ist einzigartig und somit Kunst. Wie ich erwähnte, es ist eine Sache der Einstellung.
Ein besonderer Mensch jedoch hat es geschafft, sein Leben seiner Kunst zu widmen und das entgegen aller gesellschaftlich-anerkannten Konventionen. Wenn ich meiner Oma einen angesprühten Güterzug gezeigt hätte und im selben Atemzug „Kunst“ erwähnt hätte, sie hätte einen Infarkt bekommen. Für sie war nur nennenswert, was gesellschaftsfähig war. Sprich, die Mona Lisa. Künstler des Kubismus hingegen, wie ein Picasso, waren nicht mehr klassisch genug. Daran galt es nichts Schönes zu finden. Kunst musste schön und nicht individuell sein.

Mein Kumpel also zählt heute dreißig Jahre und ich kenne keinen, der sich so gekonnt auf mehreren Ebenen ausdrücken kann. Seine Texte sind tiefgründig und sprühen vor Charme, Gesellschaftskritik und zeugen von unglaublicher Intelligenz. Wenn er Fremdwörter einfließen lässt, dann auf hohem Niveau, es klingt keine Minute abgedroschen oder so, als wüsste er nicht, was sie zu bedeuten hätten. Als fünfzehnjähriger hatte er immer ein Fremdwörterbuch bei sich. Nicht weil es hübsch aussah, sondern weil er es auswendig gelernt hat. Jedes einzelne Wort davon.

Die Wand seines Kinderzimmers zierte ein riesiges 1a gesprühtes „Mentale Fusion“. Der Name der damals zweiköpfigen Band. Und das Liebeslied, dass ich damals von ihm erhielt, beinhaltete mehr gekonnter, romantischer Fremdwörter, Metaphern und Wortspiele im Allgemeinen, als ich in meinem Leben je können werde.
„Ich liebe Dich wie Apollo den Gesang, entdeck‘ den freien Fall wie Galilei in die Wolllust deines Banns“ Uralt, aber hat sich eingebrannt.
Ja, er ist ein  Künstler. Musikalisch, als auch auf dem Papier, oder eben der Zimmerwand.

Heute lebt er bei seiner Mutter im oberen Geschoß und lässt sich von den gesellschaftlichen Auflagen mal ordentlich am Arsch lecken. Ich liebe es. In einer Mietpreis überteuerten Stadt, wie München, sind wir doof zu nennen, wenn wir ihn deswegen verurteilen…Da oben widmet er sich seinen Bildern, als auch seiner Musik. Und was soll ich sagen, jedes Mal wenn ich ein Werk von ihm auf Ohren und oder Augen bekomme, bin ich sprachlos. Und das ist nicht einfach hinzubekommen.

Ein gesprühtes Wort bekommt die Kraft, die es gesprochen nicht auszudrücken vermag. Eine Blume wird wahrhaftiger, als sie auf der Wiese je wirken wird. Seine Texte spiegeln das wieder, was uns als intelligente junge Menschen dieser Gesellschaft interessieren und berühren sollte.
Wenn ich mir seine „aktuelle“ Musik anhöre, fühle ich mich in meine Jugendzeit zurück versetzt. Nur die Texte sind gewachsen und befassen sich mit brisanten und tiefgründigen Themen. Man mag es kaum glauben, aber neben dem ganzen flachen Mainstream-Shit, der sich tagein tagaus nur um zwei Dinge dreht: Liebe und Sex, wirkt der Text aus *Meister des Spiels* überraschend, umhauend, erfrischend. Soviel Niveau muss man erstmal packen können.

Manch einer mag jetzt behaupten, dass Graffiti’s als auch Hip-Hop Texte doch nur Kunst-gewordene Auswüchse maßlosen Graskonsums sein mögen?!

  1. Nein, geht auch ohne, wenn man nur open-minded genug ist
  2. Dass Kunst nicht immer legal sein muss, versteht sich von selbst. Die größten musikalischen, als auch bildlichen Kunstwerke sind unter dem Einfluss von Drogen entstanden. Und nur die *leichtesten* der bewusstseinserweiternden Substanzen lassen sich legal erwerben.

Kunst ist also immer Grenzwertig. Sie muss es auch sein, denn die natürliche Angst vor Risiken ist den meisten Menschen zu Eigen. Wäre Kunst also nicht Grenzwertig, wären viel mehr Menschen sozusagen *Vollzeitkünstler* und nichts Besonderes mehr. Und das Wort B.E.S.O.N.D.E.R.S macht es ja aus.
Mischa’s Texte sind es auf jeden Fall. Wenn man, wie ich, mit durchschnittlicher Intelligenz gesegnet ist, muss man am besten während dem Hören die Texte mitlesen, um sie wirklich zu begreifen, aber dann hauen sie um und öffnen Welten.  M. und Kollegen zeigen auf und ermahnen uns – öffnen die Augen, lasst euch nicht von der Flachheit der Gesellschaft verpesten. Seid anders, zeigt es, seid stolz drauf. Lebt es. Wehrt euch und vor allem kämpft gegen die Volksverdummung.

Stempel gehören ins Büro, aber nicht in die Gesellschaft und schon gar nicht gehören Individuen damit gezeichnet.

Wenn wir also genau hinschauen, finden wir auch in München gigantische und einzigartige Kunst. Und wenn nicht im Freundeskreis, dann hat sicher die Bar oder die Galerie eures Vertrauens das ein oder andere Schmankerl für Ohren und Augen…

 ODE AN BAVARIA und die KUNST DES AUSGEHENS

Es war das erste Bier, das ich getrunken habe, in Feierlaune, bei Depris, Liebeskummer, Sieg über meine Lehrer – als ich entgegen ihren Prognosen DOCH meinen Abschluss geschafft habe. Mein Gegenüber nimmt einen Schluck, und ich kann sehen, wie sich so langsam und ein klitzekleines bisschen der *München-Frust* legt. „Weißt…“ er wendet sich mir zu, schabt mit der Schuhspitze durch den Isarkies, hebt die Schultern und lässt sie resigniert wieder fallen „früher, da gab’s hier noch ’ne Partyszene, ich hab‘  g‘feiert bis morgens und es war megagut. Jetzt ist doch jeder Club eine Fleischbeschauung. Ich geh verdammt nochmal nicht zum Weiber aufreißen aus, sondern weil ich Bock hab zu tanzen“.

Mein Blick folgt einer ziemlich bunten Ente. Wo kommt die denn her?! Ich frage mich, ob sie diese Dinger über den Winter irgendwo einsperren und erst im Frühling wieder raus lassen?! So könnte es sich auch mit den Münchnern verhalten, der Isarstrand an der Reichenbachbrücke ist überfüllt. Ich sehe glückliche, wenn auch blasse Gesichter, die sich verträumt der Sonne zu wenden. Es erklingt leise Musik, irgendjemand hat eine portable Soundbox dabei. Das Stimmengemurmel verrät angeregte Unterhaltungen… Endlich. Sonne. Es wird grün. München zeigt sich von seiner einzigartigen Seite. Die grüne Seite. Welche Stadt kann schon mit so viel Grün aufwarten wie Monaco die Bavaria?!

Ich verstehe den Frust meines Gegenübers nicht. Ich liebe diese Stadt. Hier bin ich aufgewachsen. Habe kleinere und größere Dramen überlebt. Mich fortgepflanzt, geliebt, geweint und: gefeiert! „Ist feiern nicht ’ne Einstellungssache?!“ frage ich und nehme einen Schluck aus meinem eigenen August. „Ich mein‘ wenn ich mit mieser Laune ausgehe, dann kann der Abend ja auch nur scheiße werden…“

„Oder-„ mein Gegenüber unterbricht mich „weil es nicht die richtigen Clubs gibt… Und wenn, dann hampeln da lauter Spasten rum.“ Kann sein, denke ich. Aber teilen wir uns diesen Planeten nicht?! Und so lässt sich das bis aufs Kleinste runter brechen. Den Kontinent, das Land, die Region, die Stadt, die Straße und zu guter letzt- den Club.

isar münchenIch nehme noch einen Schluck gewürztes Quellwasser und sinniere vor mich hin. Im Grunde ist es doch so wie bei der Partnerwahl, dann, wenn man es nicht erwartet und schon dreimal nicht danach sucht, kommt der besondere Laden oder Mensch um die Ecke. Und du weißt es in dem Moment, in dem du die Türe öffnest und den Laden betrittst. Und – je kleiner die Stadt (und München gehört bekannterweise nicht zu den Giganten unter den Metropolen), desto höher die Chance, den Menschen oder deinen Club zu treffen. Und wenn du dann noch alleine unterwegs bist, erhöht sich die Chance doch erheblich, man ist nicht abgelenkt. Oder ist das genau das Problem?! Ist alleine feiern zu armselig?! Wirke ich auf andere Menschen verzweifelt?! Ist die Bar oder die Location dann reizvoll, wenn keiner dabei ist, der meine Begeisterung teilt und so steigert?! Nur so wird doch etwas Gutes zu etwas Einzigartigem. Ich teile…Ich stelle die Flasche vor mir ab und drehe sie im Kies.

Ein besonderer Mensch schleicht sich in mein Gedächtnis. Er ist oft alleine feiern gegangen. Aber er war nicht auf der Suche nach dem besonderen Club oder dem besonderen Menschen, sondern auf der Suche nach der Musik, die ihn für einen Abend seinen Frust vergessen lies. Oder ihm hilft, sein Leben zu zelebrieren. Zu feiern…Ich schaue auf mein Bier- und es ist, als würde ein Licht angehen und ein engelsgleicher Chor singen…Ich hab’s. Der hippste Club ist nichts, ohne die passende Musik. Kennt ihr das?! Ihr habt gute Laune und der Radiosender eures Vertrauens spielt etwas Melancholisches – was passiert?! Man passt seine Stimmung zwangsläufig der Mucke an… genau so funktioniert es doch auch in die andere Richtung. Gute Musik ist der Shit – beinahe möchte ich sagen, der passende Track pusht mehr als die ein- oder andere Droge.

Meine Gedanken kreisen weiter, während mein missmutiges Gegenüber motzig auf die Isarwellen stiert. Alleine feiern. Ein Phänomen für sich, das mit Sicherheit in vielen Städten zelebriert werden kann. Und das erfolgreich. Aber in München…

Ich denke, hier sollte man nicht alleine feiern gehen, du kannst alleine in die Berge oder den Biergarten gehen. Da zeigen sich die Hauptstadt und deren Hausberge von ihrer Sonnenseite. Diese G‘miatlichkeit kennt sonst keine andere Zone unseres einzigartigen und verkorksten Heimatlandes. Im Biergarten, da lernst du Leute kennen. So à la mi cerveca és tu cerveca. Bier, das teilen die Bayern gerne. Und warum auch nicht. Die Münchner Brauhäuser sind ja schließlich die Créme de la Créme der Könige der Wasser-Verwandlungskunst. Aber feiern…?! Nein, das solltest du in München nur unter Beachtung folgender Regeln tun…. Die bunte Ente schwimmt retour und kurz frage ich mich, ob sie wohl schmecken würde?! Igitt. Pervers. Das süße Entlein. Stattdessen setze ich an und nehme zwei bis fünf riesige Schluck aus der Flasche. Der Gedanke, dass es sich mit einer Bierflasche wie mit einer Beziehung verhält, streift mein Bewusstsein nur kurz. Am Anfang spritzig, erfrischend, das was man erwartet hatte… Dann lack, langweilig, man bekommt es kaum runter und hofft auf ein Neues.

Zurück, ermahne ich mich. Mein Kumpel hat sein Bier gelehrt und stößt leise auf. Ich liebe Kumpels. Man kann so sein, wie man will. Angst, abtörnend zu wirken, muss man ja nicht haben. Da sollte und wird eh nichts laufen. Also, überlege ich- die Grundregeln des Feierns in einer Stadt wie München.

1. Gehe ohne Plan, aber mit den richtigen Leuten los

2. Bier ist in Bayern keine Droge, sondern ein Grundnahrungsmittel, daher ein Grundrecht und folglich kann man davon nie genug zu sich nehmen

3. Schämen sollte man sich nicht. Denn Musikgarantie gibt es nicht, tanzen sollte man also auf jegliche Art der Musik können und sei es zur Volksmusi‘

4. Wer sich zu cool fühlt, hat schon längst verloren

5. Alleine feiern ist nur was für harte und ohne Scheu

6. Vergiss das Taxi, gehe zu Fuß von Location zu Location, so findest du immer etwas Neues…

7. Du bist immer so alt, wie du dich fühlst, lächerlich machen sich nur die, die dich lächerlich finden

8.…. Mir fällt nichts mehr ein.

Zufrieden mit mir selbst, greife ich nach einem Stein, schmeiße ihn ins Wasser und betrachte versonnen die Wellen, die der inzwischen Geschichte gewordene Stein verursacht hat. Oh ja, rasende Euphorie macht sich breit. Ich strahle meinen Kumpel aufmunternd an – heute Abend gehe ich aus. Das Bier, das Grübeln und das Rauschen der Isar haben mich in Feierlaune gebracht. Ich erfülle alle Kriterien, ich habe Bock und die richtigen Leute schon auch.

Ich werde zu viel trinken. Zu laut lachen. Zu wild tanzen. Zu lange unterwegs sein, neue Kneipen und Leute kennenlernen. Weil, wenn du nur ein bisschen offen  und wirklich gut drauf bist, dann ist München DIE Stadt schlechthin.

Und morgen?! Da geh‘ I in die Berg‘, wei des is eh des Beste…

Wie unser Kolumnist Frank Schitzo seine Bergtour plant, findet ihr hier -> Der Ausflug zum Tegernsee