Groß werden in der Stadt – eine kleine Nähkästchen-Tour

Groß werden in der Stadt – eine kleine Nähkästchen-Tour

Als MünchnerIn wird man unzählige Male gefragt, ob eine glückliche Kindheit und Jugend in einer Stadt überhaupt möglich ist. Und ich weiß nicht, wie oft wir die Diskussion geführt habe, dass auf dem Land aufwachsen nicht unbedingt gleichbedeutend mit einer glücklichen Kindheit ist. Stadtkinder haben oft ihre ganz eigenen kleinen Welten, in denen sie sich bewegen und in denen sie aufwachsen. Wir, ein paar waschechte StädterInnen, sammeln G’schichtln.

Viola:

Aufgewachsen bin ich inmitten des Trubels dieser, meiner Stadt. Die ersten Jahre meines Münchner Lebens verbrachte ich in der Hohenzollernstrasse, um dann direkt ans Sendlinger Tor zu ziehen, wo ich den Großteil meiner Kindheit und Jugend ein städtisches Leben lebte.

Schon mit drei Jahren habe ich an einem heißen Sommertag meine kleine Welt auf eigene Faust erkundet. Eigentlich sollte ich einen Mittagschlaf machen, aber Lust hatte ich viel mehr auf ein Eis. Und ich wusste wo unsere Stammeisdiele „Venezia“ auf der Leopoldstrasse war. Und da ich meine Mutter, die selbst eine Siesta einlegte, nicht wecken wollte, habe ich kurzerhand eine Strebe meines Kinderbettes abmontiert und bin mit verkehrt herum angezogenen Gummistiefeln und Goofyanzug losmarschiert. Eine Stadt kann manchmal ziemlich anonym sein und so wurde ich auf  meiner Mission auch nicht aufgehalten. Und so kam ich ungehindert an mein Ziel – Eis bestellt, mission accomplished. Da man sich aber im Mikrokosmos der Stadtviertel dann doch auch kennt, wussten die Eisdielenbesitzer wer ich war, nur meine Adresse hatten sie nicht. Also wurde die Polizei gerufen, ein Polizist nahm mich mit auf die Wache und versuchte erfolglos meinen Namen herauszufinden. Mit dem wollte ich nicht reden, also schwieg ich eisen. Da seine Schicht endete und sich ein kleines Mädchen auf der Polizeiwache schrecklich langweilt, nahm er mich kurzerhand mit nach Solln zu seiner Familie.

Inzwischen war auch meine Mutter aufgewacht und hatte entdeckt, dass ich nicht mehr da war. Völlig aufgelöst erreichte sie wenig später das „Venezia“ und konnte von den Besitzern beruhigt werden. Mütterliche Intention, nehme ich mal an. Warum sonst war ihr erster Gedanke, als sie mein Bettchen leer vorfand, „Venezia!“. Doch ich war ja inzwischen in Solln. Also, meine Mutter in die Polizeiwache und kurz darauf ab nach Solln. Dort fand sie mich dann glücklich spielend im Sandkasten der Polizistenfamilie. Ab diesem Tag wurde es für mich unmöglich meine Bettstreben abzumontieren.

Am Sendlinger Tor angekommen erwachte dann unser Geschäftssinn. Vielleicht spielte hier die Nähe zur Fußgängerzone eine Rolle. So war eine unserer Haupteinnahmequellen die Kastanien vor Bodos Café. Die sammelten wir auf, polierten sie und verkauften sie an die Cafégäste für nur 10 Pfennig! Das ging allerdings nur im Herbst und so erweiterten wir unser Repertoire um eine weitere Quelle: Regelmäßige Flohmärkte. Da wir sie im Innenhof veranstalteten kamen leider nur unsere Eltern und ein paar Nachbarn vorbei, die uns ein oder zwei ausrangierte Spielzeuge abkauften. Und obwohl das nicht viel war, empfanden wir es immer wieder als Erfolg. Der Zusammenhang zwischen Hinterhof und wenig Kunden wurde uns erst sehr viel später bewusst.

Wenn Ihr Lust habt uns Eure eigene Version vom Aufwachsen in der Stadt zu schildern freuen wir uns über Anekdötchen und Geschichten von Euch! Einfach schicken an: mail@muenchnr.de

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 Veröffentlicht von…
Viola
Klaus Palermo bei Google+ | veröffentlicht am 29. Juni 2015
Viola

Über Viola

Viola aka Vyvy ist unsere zuckersüsse, am Sendlinger Tor aufgewachsene, Expertin für alle kulturellen und künstlerischen Belange. Als Ethnologin und Mitarbeiterin einer Kunstgalerie hat sie den entsprechenden Weitblick und ein besonderes Gespür für Kultur im feuilletonistischen wie auch interkulturellen Sinne.

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