ODE AN BAVARIA und die KUNST DES AUSGEHENS
„… Ich bin frustriert, ich hasse diese Stadt…!“ Es klickt, der Deckel springt davon, und ich bin mir sicher, wenn ich in diesem Moment meine Nase an den Hals der Flasche halten würde, strömte mir der Duft jahrelanger Erinnerungen in die Nase. Würzig, erfrischend, deftig, es riecht nach guter bis bester Braukunst… Der gute alte „August“.
Es war das erste Bier, das ich getrunken habe, in Feierlaune, bei Depris, Liebeskummer, Sieg über meine Lehrer – als ich entgegen ihren Prognosen DOCH meinen Abschluss geschafft habe. Mein Gegenüber nimmt einen Schluck, und ich kann sehen, wie sich so langsam und ein klitzekleines bisschen der *München-Frust* legt. „Weißt…“ er wendet sich mir zu, schabt mit der Schuhspitze durch den Isarkies, hebt die Schultern und lässt sie resigniert wieder fallen „früher, da gab’s hier noch ’ne Partyszene, ich hab‘ g‘feiert bis morgens und es war megagut. Jetzt ist doch jeder Club eine Fleischbeschauung. Ich geh verdammt nochmal nicht zum Weiber aufreißen aus, sondern weil ich Bock hab zu tanzen“.
Mein Blick folgt einer ziemlich bunten Ente. Wo kommt die denn her?! Ich frage mich, ob sie diese Dinger über den Winter irgendwo einsperren und erst im Frühling wieder raus lassen?! So könnte es sich auch mit den Münchnern verhalten, der Isarstrand an der Reichenbachbrücke ist überfüllt. Ich sehe glückliche, wenn auch blasse Gesichter, die sich verträumt der Sonne zu wenden. Es erklingt leise Musik, irgendjemand hat eine portable Soundbox dabei. Das Stimmengemurmel verrät angeregte Unterhaltungen… Endlich. Sonne. Es wird grün. München zeigt sich von seiner einzigartigen Seite. Die grüne Seite. Welche Stadt kann schon mit so viel Grün aufwarten wie Monaco die Bavaria?!
Ich verstehe den Frust meines Gegenübers nicht. Ich liebe diese Stadt. Hier bin ich aufgewachsen. Habe kleinere und größere Dramen überlebt. Mich fortgepflanzt, geliebt, geweint und: gefeiert! „Ist feiern nicht ’ne Einstellungssache?!“ frage ich und nehme einen Schluck aus meinem eigenen August. „Ich mein‘ wenn ich mit mieser Laune ausgehe, dann kann der Abend ja auch nur scheiße werden…“
„Oder-„ mein Gegenüber unterbricht mich „weil es nicht die richtigen Clubs gibt… Und wenn, dann hampeln da lauter Spasten rum.“ Kann sein, denke ich. Aber teilen wir uns diesen Planeten nicht?! Und so lässt sich das bis aufs Kleinste runter brechen. Den Kontinent, das Land, die Region, die Stadt, die Straße und zu guter letzt- den Club.
Ich nehme noch einen Schluck gewürztes Quellwasser und sinniere vor mich hin. Im Grunde ist es doch so wie bei der Partnerwahl, dann, wenn man es nicht erwartet und schon dreimal nicht danach sucht, kommt der besondere Laden oder Mensch um die Ecke. Und du weißt es in dem Moment, in dem du die Türe öffnest und den Laden betrittst. Und – je kleiner die Stadt (und München gehört bekannterweise nicht zu den Giganten unter den Metropolen), desto höher die Chance, den Menschen oder deinen Club zu treffen. Und wenn du dann noch alleine unterwegs bist, erhöht sich die Chance doch erheblich, man ist nicht abgelenkt. Oder ist das genau das Problem?! Ist alleine feiern zu armselig?! Wirke ich auf andere Menschen verzweifelt?! Ist die Bar oder die Location dann reizvoll, wenn keiner dabei ist, der meine Begeisterung teilt und so steigert?! Nur so wird doch etwas Gutes zu etwas Einzigartigem. Ich teile…Ich stelle die Flasche vor mir ab und drehe sie im Kies.
Ein besonderer Mensch schleicht sich in mein Gedächtnis. Er ist oft alleine feiern gegangen. Aber er war nicht auf der Suche nach dem besonderen Club oder dem besonderen Menschen, sondern auf der Suche nach der Musik, die ihn für einen Abend seinen Frust vergessen lies. Oder ihm hilft, sein Leben zu zelebrieren. Zu feiern…Ich schaue auf mein Bier- und es ist, als würde ein Licht angehen und ein engelsgleicher Chor singen…Ich hab’s. Der hippste Club ist nichts, ohne die passende Musik. Kennt ihr das?! Ihr habt gute Laune und der Radiosender eures Vertrauens spielt etwas Melancholisches – was passiert?! Man passt seine Stimmung zwangsläufig der Mucke an… genau so funktioniert es doch auch in die andere Richtung. Gute Musik ist der Shit – beinahe möchte ich sagen, der passende Track pusht mehr als die ein- oder andere Droge.
Meine Gedanken kreisen weiter, während mein missmutiges Gegenüber motzig auf die Isarwellen stiert. Alleine feiern. Ein Phänomen für sich, das mit Sicherheit in vielen Städten zelebriert werden kann. Und das erfolgreich. Aber in München…
Ich denke, hier sollte man nicht alleine feiern gehen, du kannst alleine in die Berge oder den Biergarten gehen. Da zeigen sich die Hauptstadt und deren Hausberge von ihrer Sonnenseite. Diese G‘miatlichkeit kennt sonst keine andere Zone unseres einzigartigen und verkorksten Heimatlandes. Im Biergarten, da lernst du Leute kennen. So à la mi cerveca és tu cerveca. Bier, das teilen die Bayern gerne. Und warum auch nicht. Die Münchner Brauhäuser sind ja schließlich die Créme de la Créme der Könige der Wasser-Verwandlungskunst. Aber feiern…?! Nein, das solltest du in München nur unter Beachtung folgender Regeln tun…. Die bunte Ente schwimmt retour und kurz frage ich mich, ob sie wohl schmecken würde?! Igitt. Pervers. Das süße Entlein. Stattdessen setze ich an und nehme zwei bis fünf riesige Schluck aus der Flasche. Der Gedanke, dass es sich mit einer Bierflasche wie mit einer Beziehung verhält, streift mein Bewusstsein nur kurz. Am Anfang spritzig, erfrischend, das was man erwartet hatte… Dann lack, langweilig, man bekommt es kaum runter und hofft auf ein Neues.
Zurück, ermahne ich mich. Mein Kumpel hat sein Bier gelehrt und stößt leise auf. Ich liebe Kumpels. Man kann so sein, wie man will. Angst, abtörnend zu wirken, muss man ja nicht haben. Da sollte und wird eh nichts laufen. Also, überlege ich- die Grundregeln des Feierns in einer Stadt wie München.
1. Gehe ohne Plan, aber mit den richtigen Leuten los
2. Bier ist in Bayern keine Droge, sondern ein Grundnahrungsmittel, daher ein Grundrecht und folglich kann man davon nie genug zu sich nehmen
3. Schämen sollte man sich nicht. Denn Musikgarantie gibt es nicht, tanzen sollte man also auf jegliche Art der Musik können und sei es zur Volksmusi‘
4. Wer sich zu cool fühlt, hat schon längst verloren
5. Alleine feiern ist nur was für harte und ohne Scheu
6. Vergiss das Taxi, gehe zu Fuß von Location zu Location, so findest du immer etwas Neues…
7. Du bist immer so alt, wie du dich fühlst, lächerlich machen sich nur die, die dich lächerlich finden
8.…. Mir fällt nichts mehr ein.
Zufrieden mit mir selbst, greife ich nach einem Stein, schmeiße ihn ins Wasser und betrachte versonnen die Wellen, die der inzwischen Geschichte gewordene Stein verursacht hat. Oh ja, rasende Euphorie macht sich breit. Ich strahle meinen Kumpel aufmunternd an – heute Abend gehe ich aus. Das Bier, das Grübeln und das Rauschen der Isar haben mich in Feierlaune gebracht. Ich erfülle alle Kriterien, ich habe Bock und die richtigen Leute schon auch.
Ich werde zu viel trinken. Zu laut lachen. Zu wild tanzen. Zu lange unterwegs sein, neue Kneipen und Leute kennenlernen. Weil, wenn du nur ein bisschen offen und wirklich gut drauf bist, dann ist München DIE Stadt schlechthin.
Und morgen?! Da geh‘ I in die Berg‘, wei des is eh des Beste…
Wie unser Kolumnist Frank Schitzo seine Bergtour plant, findet ihr hier -> Der Ausflug zum Tegernsee
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